Sie nennt sie einfach Tropfen. In der neuen Werkserie von Ekaterina Fischnaller spielt die Tropfenform die Hauptrolle. Aber verhalten sich die Bildelemente wie Tropfen? Das physikalische Dasein eines Tropfens ist bestimmt von seiner Bewegung erdwärts. Etwas tropft, das heisst, es fällt, lautmalerisch auch im Englischen (Drop oder Drip), und schon denken wir an die berühmtesten Drip Paintings der Kunstgeschichte, die von Jackson Pollock. Diese haben, entstanden aus scheinbar spontanen, dabei entschlossen kräftigen Gesten das All-over zum Ziel, die Entgrenzung der Leinwand, sind eher Spritzer als Tropfen.
Ekaterina Fischnallers Bilder entstehen nicht durch Auftropfen der Farbe. Der Tropfen ist gestaltetes Motiv, das in feinster Pinselführung ausgearbeitet wird. Sie arbeitet mit der einfachen Tropfenform, an einem Ende rund, am anderen spitz zulaufend, quasi mit dem Piktogramm eines Tropfens. Ihre Tropfen fallen nicht, ganz im Gegenteil. Jede Schwere ist ihnen fremd, sie steigen auf, tanzen, suggerieren wirbelnde Bewegung. Kompositorisch setzt Fischnaller jeweils eine Tropfenformation vom Bildrand ab, gibt ihr Raum - oder besser Fläche - rundum und damit den Charakter einer zusammengehörigen und von anderen unterschiedenen Einheit, wie eine Familie, eine Gruppe, eine Herde. Die einzelnen Tropfen überlagern einander, ohne einander zu überdecken, sind unglaublich delikat gemalt. Die zarte Transparenz ihrer Farben ergibt, dort wo sich ein Tropfen über den anderen legt, subtile koloristische Mischungen. Während Fischnaller die zentrierte Komposition Bild um Bild wiederholt, entfaltet sie eine Fülle an differenzierter Farbigkeit, Unterschiede im Farbauftrag und Hintergründen. Die Bilder haben etwas Kostbares. Das ist evident, wenn die Künstlerin Blattgold verwendet. Eine Referenz an russische Ikonen? Darauf könnte auch die dezidierte Flächigkeit hinweisen. Jedes einzelne Werk hat diese spezielle Aura des Besonderen, die durch seine Aufladung mit Konzentration auf jedes Detail entsteht.
Ein Tropfen ist eine delikate Entität, jeder individuell geformt, verletzlich, ephemer. In Ekaterina Fischnallers Bildern erscheinen sie in Schwärmen. Wie lange die jeweilige Formation bestehen bleiben könnte, wissen wir nicht. Aber festgehalten ist die Feier der Gemeinsamkeit, der Ekaterina Fischnaller mit ihren Bildern Dauer verleiht.
Stella Rollig ist wissenschaftliche Geschäftsführerin und Generaldirektorin des Belvedere Wien