Zur Ausstellung - Eva-Maria Manner

... Ad hoc erkennt der Betrachter bei ersteren Werken die Tropfenform, glaubt, das leise Prasseln des Regens vernehmen zu können. Riskiert er einen weiteren Blick, entdeckt er unter den bekannten Tropfenformen um 180 Grad gedrehte, mit der Spitzform nach unten gerichtete Gebilde, die ballonartig nach oben drängen.
Unterschiedliche Gefüge und Konstellationen interagieren. Traten sie augenscheinlich als zarte, ästhetische Formen auf, ist die nachhaltige Perzeption dieser lebendig gewordenen Gebilde weitaus subtiler. Vormals verschlüsselte Botschaften werden dem Betrachter offenkundig. Einem sozialen Gefüge gleich sendet jeder einzelne Tropfen Appelle - ohne schreiend zu wirken, kann harmonisch, aber auch aufwühlerisch und sozialkritisch auftreten. Fast überall herrscht das Miteinander vor, nur selten absentieren sich einzelne, unterstreichen ihre vermeintlich singuläre Erscheinung durch räumlichen Abstand.
Dementsprechend sieht die Künstlerin ihre bildimmanente Intention - ich zitiere - "als Metapher für die Möglichkeit einer gemeinsamen Existenz. Trotz aller individuellen Verschiedenheit gleichen sich die Tropfen in ihrem Wesen. Dies trifft auf alle Verbindungen zu, chemische wie Atome oder politische wie Staaten. Gleichermassen thematisiert die Künstlerin die Bedeutung von Flüssigkeiten als Lebensgrundlagen. Ob als Tränen, Schweiss, Blut, Wasser, Regen, Öl, Parfum, als Nahrungsmittel oder Krankheitsüberträger, Tropfen erscheinen in vielen Bereichen. Wichtig für Ekaterina Fischnaller ist die Transparenz der einzelnen Tropfen, die ineinander übergehen und bei aller Eigenständigkeit in Summe ein grosses Ganzes ergeben."
Wie hat die Künstlerin eigentlich zu den Tropfen gefunden? Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Hochwasser in Sarmingstein, die Strassen abgesperrt, der Blick zur Donau wird der Künstlerin vom Nebel grossteils verwehrt, Niederschlag vervollkommnet die unwirklich anmutende Stimmung. Ekaterina Fischnaller geniesst den Anblick der vernebelten, beinahe menschenleeren Landschaft - wie auf ihren Fotos festgehalten; sie mag den Regen, untersucht dessen formales Gewand und erhebt den Tropfen zum Protagonisten ihrer Bildsprache.
Dass der Tropfen nur kurz vor seiner Ablösung von einem Körper annähernd seine für uns typische räumliche Form einnimmt, ist faszinierend. Diesen sehr kurzen Moment hält Ekaterina Fischnaller fest und be- und umschreibt damit die Entität an und für sich. Gerade deswegen hat sich unter anderem auch die Heraldik der Tropfenform bedient.
Sie steht oft als Symbol für Tränen, Blut-, Gold-, Öl-, Teer- und Wassertropfen und verspricht Fruchtbarkeit und neues Leben. Ihren ruhigen, in mehr oder weniger klaren Bahnen folgenden oder ihren quirligen, rege kommunizierenden oder jene auf sicherem Goldgrund beheimateten Tropfenformationen stehen die jäh durch einen Schrotbeschuss verletzten Leinwände gegenüber. Sie sind als klare Absage an die obsoleten Kriegsgemetzel und als pazifistisches künstlerisches Statement zu lesen. Diese Werke, betitelt "No a la guerra!" könnten zeitgenössischer nicht sein. Sie greifen die omnipräsente Gewalt auf, die die Schönheit, Fröhlichkeit und Natürlichkeit menschlichen Zusammenseins zerstört.
Ich persönlich verstehe Ekaterina Fischnallers Tropfenbilder als empfindsam gemalte Poesie, die die Welt thematisiert und den Wunsch nach individualisiertem Zusammenklang äussert.

Eva-Maria Manner, Kulturdirektion Land Oberösterreich, in ihrer Rede zur Vernissage im Hofkabinett 2015